Varias Tapas
mit Illustrationen von Cécile Keller und einem Vorwort von Büne Huber.
Kartonierter Einband, 192 Seiten, Deutsch, Fr. 30.– ISBN 978-3-909990-36-3
Erstausgabe 2023 – zu beziehen in allen Buchhandlungen und beim Verlag:
Verlag X-Time, www.edition-eigenart.ch
Nach Büchern von Pedro Lenz, Guy Kneta, Markus Michel, Francesco Micieli, Rolf Hermann, Michael Sasdi u.a. gibt der Berner Verlag X-Time ein weiteres Buch eines Berner Autoren heraus.
«Varias Tapas» sind mit Schalk gewürzte literarische Häppchen des Filmemachers Felix Tissi. Seine Kurzgeschichten knöpfen sich so manches vor, worüber man von der Wiege unterwegs zur Bahre straucheln kann:
In der Kindheit etwa über seinen eigenen Namen – in der Jugend darüber, was abgeht – in der Liebe über Scherben -in der Arbeit über mehr Lohn – in der Familie über wachsende Zehen der Kinder – in der Welt, worüber sie zu retten sei – und im Alter über den Tod.
Ernsthaft-unernst wird in 7 Kapiteln eben mal kurz die Welt erklärt. – Schiffbrüchig-heiter.
Zitate:
«Seit Wochen wurde bei uns am Tisch nicht mehr gesprochen. Mami wollte nach Bali. Das mit uns wollte sie nicht mehr. Wir waren ihr verleidet. Sie sagte, Papi komme immer nur nach Hause, wenn er müde sei. Er versuchte uns zu erklären, dass Frauen halt mehr über das Leben nachdenken würden als Männer und es verändern wollen. Da passe er nicht mehr rein, und Mami wolle nach Bali. Bali sei gut. Verglichen mit Palmen und weissem Sand sei er tatsächlich nur müde. Papi arbeitete bei den Städtischen Wasserwerken. Städtische Wasserwerke sind kein Meer.»
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«Obacht. Wenn dir deine Frau zum Geburtstag einen Gutschein beim Friseur schenkt, solltest du dich beizeiten nach einem guten Anwalt umsehen. Sie findet dich verwahrlost. Immerhin ist ihr dieser Beziehungsrettungsversuch noch eine Investition wert. Aber bei Serhat – Dein Frisör kostet ein Rundumschlag keinen Zehntel deines Eherings. Das solltest du bedenken und vielleicht wieder mal duschen.»
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«Auf Besuch seiner Kinder warten kann man auch in Biel. Es ist mir recht, bin ich am anderen Ende der Welt. Da haben sie einen Grund für ihr Wegbleiben. Und ich auch.
Mit den Freunden ist es allerdings so eine Sache. Will nicht recht klappen. Ein deutsches Paar, drei andere Schweizer und ein Holländer. Den ganzen Tag Kartenspielen, ist aber nicht so meins. Ausserdem trinken sie zu viel. Meist schon am Vormittag. Nach und nach ist es bei mir dann auch mehr geworden. Freundschaften tut das nicht gut. Jetzt trinke ich lieber allein.»
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«Am Anfang habe ich mir noch Zettel geschrieben: «Zeitung schon gelesen» – «Zähne putzen» – «11 Uhr 30 Dr. Langnauer» – «Nichts vergessen!» oder «Handtuch nicht auf heisse Herdplatte legen». Auch habe ich den Fernseher angeschrieben, den Kühlschrank und den Lichtschalter: «Hell». Das hat aber alles nur schlimmer gemacht, weil jemand die Zettel durcheinandergebracht hat. Keine Ahnung, wer.»
Das Hohelied
Eines möchte ich gleich vorwegnehmen: Herr Tissi ist mein Freund. Er ist es bereits seit vielen Jahren. Darum werde ich mir an dieser Stelle keine Mühe geben, etwas anderes als ein Hohelied zu singen. Von mir kann niemand ein sprödes «Vorwort», eine artige «Einleitung» oder garamend ein gestelztes «zum Geleit» erwarten. Da hätte man andere fragen müssen. Lieder sind schliesslich mein Kerngeschäft. Von Büchern verstehe ich nichts.
Die Form des Hoheliedes scheint mir das einzige Ausdrucksmittel zu sein, das das mannigfaltige Werk von Herrn Tissi würdigt. Denn alles, was er schreibt und treibt, egal ob es sich nun um Drehbücher, Kurzgeschichten oder Prosa (vermutlich sogar Fresszettel oder Einkaufslisten) handelt, wirkt auf mich als wären es Songs.
Keine dieser fürs Formatradio zusammengeschusterten Popsongs, die im Takt eines abgeschmackten Bachatas von dauergutgelaunten, halbseidenen Möchtegern-Latinos aus Kölliken dargeboten werden und so den Soundtrack für die mittelprächtige Helvetik bilden. Die Art von Popsongs, die man morgens um vier aus jeder geleasten Mittelklassekarre am Fressbalken von Würenlos dröhnen hört, und für die man von Rechts wegen einen Waffenschein bräuchte.
Tissis Geschichten sind Songs mit einem wunderbar leichten Rhythmus und dunklen Tönen. Bevölkert von Figuren, wie sie immer mal wieder bei Bob Dylan oder Tom Waits auftauchen. Figuren, die im November in den Urlaub nach Belgien fahren, wenn alle anderen nach Sharm el Sheik fliegen. Sie stehen an der Bar, trinken Bacardi Cola und fingern in der Schale mit den Erdnüsschen rum, während alle anderen ausgelassen das Tanzbein schwingen. Und wenn sie sich wider allen Erwartungen doch einmal auf die Tanzfläche wagen, sieht das aus, als würde ein Pandabär in Rollschuhen ungelenk auf einem gekochten Straussenei balancieren.
Verschrobene Gestalten, die an einer Tombola ein Ferkel gewinnen oder mutterseelenallein in einer defekten Rakete sitzen, die in die endlose Weite des Alls hinauszischt.
Überhaupt geht vieles schief in Tissis Welten. Es sind ja auch die Niederlagen, die erzählenswert sind. Denn nichts ist langweiliger als Gewinner oder dauergutgelaunte, halbseidene Möchtegern-Latinos aus Kölliken.
Ich erinnere mich gerne an die Wochen, die wir gemeinsam in seinem Haus in Spanien verbrachten. Wie wir zwei Mäandertaler, Rumtreiber und Tagediebe, wie Katzen auf ihren Rundgängen durchs Dorf, das Territorium durchschlichen und die Grenzen absteckten. Und zwar eher die Inneren als die Äusseren. Immer schön der Nase nach. Jeder für sich. Stundenlang. Tagelang.
Dann das gemeinsame Abendessen unter freiem Himmel, mit vom Hundertsten ins Tausendste ausufernden Gesprächen über «nahezu fast irgendwie» alles. Ein irrwitziges Ping Pong-Spiel, wo die Gedankenfetzen fliegen, wo eine Geschichte die nächste befeuert. Andere Menschen würden stark wirkende Designerdrogen benötigen, wollten sie ihre Hirne und ihre Sinne in ähnlichem Masse auf Betriebstemperatur bringen.
Nach dem Abwasch dann die Nachtschicht. Am Esstisch mag Herr Tissi ein Meister der Ausschweifung sein. Am Schreibtisch hingegen ist er es nicht. «Eine Schachtel Brunette Doppelfilter. Eine Flasche Campo Viejo. Eine Nacht. Eine Geschichte.» An dieses von mir sehr bewunderte, aber auch ein klein bisschen belächelte «Dogma» hielt sich Tissi jahrelang. Er ist halt eben auch ein Romantiker.
Ich mag an seinen Geschichten das Hinterlistige, die Durchtriebenheit, das Skurrile, die unbeschreibliche Verspieltheit, wenn Herr Tissi seine Fantasiepferde zügellos galoppieren lässt. Vor allem aber mag ich den feinsinnigen Humor, der selbst den himmeltraurigsten Erzählungen innewohnt.
Item. Zum Schluss bleibt mir noch ein reuevolles Geständnis:
Ich habe Herrn Tissi in den vergangenen Jahren unserer Freundschaft wiederholt ohne jegliche Skrupel beklaut. Ich habe mir aus seinen Filmen, aus seinen Geschichten, aber auch aus unseren gemeinsamen Gesprächen des Öfteren Sätze notiert, die ich zu gegebener Zeit in meinen Popsongs zur Anwendung bringen werde. Das habe ich auch bei «Varias Tapas» getan. Natürlich verrate ich Ihnen nicht um welche es sich dabei handelt. Ich bin ja schliesslich nicht blöd.
Ich hoffe, dass Ihnen die Lektüre des vorliegenden Buches, in welchem in lediglich sieben Kapiteln eben mal kurz die Welt erklärt wird, dieselbe Freude und Inspiration bereitet wie mir.
Büne Huber